Kausalität und Zurechnung bei mehreren Fehlern unterschiedlicher Anwälte
In einem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 07.04.2005, Az: IX ZR 132/01, machten die Richter des zuständigen Senats deutlich, dass ein Anwalt auch für einen Anwaltsfehler haften muss, wenn einem später beauftragten Rechtsanwalt das Ausbessern des Fehlers möglich gewesen wäre, er dies aber fahrlässig nicht tut.
Anwaltsfehler
Die Ehe der späteren Klägerin war rechtskräftig geschieden worden; sie wandte sich an den später verklagten Rechtsanwalt A., um nun den Ausgleich des ehelichen Zugewinns gerichtlich einzufordern.
Daraufhin reichte Rechtsanwalt A für seine Mandantin eine Klage auf Zugewinnsausgleich ein und beantragte Prozesskostenhilfe. Als der frühere Ehemann der Klägerin dem Gericht eine privat abgefasste Abfindungsvereinbarung vorlegte, wies das Familiengericht den Antrag auf Prozesskostenhilfe zurück. Daraufhin blieb Rechtsanwalt A. untätig und kümmerte sich in den folgenden zwei Jahren nicht mehr um den Fortgang des Verfahrens.
Schließlich entzog die Klägerin Rechtsanwalt A. das Mandat und wandte sich an Rechtsanwalt F. Dieser erhob zwar Beschwerde gegen den Beschluss, mit dem Prozesskostenhilfe versagt worden war, wehrte sich aber – fahrlässig – nicht gegen die zusätzlich erhobene Verjährungseinrede des Ex-Manns der Klägerin. Obwohl die Verjährung noch nicht eingetreten war, lehnte auch das übergeordnete Gericht die Gewährung von Prozesskostenhilfe ab.
Zwischenzeitlich war der Anspruch auf ehelichen Zugewinn tatsächlich verjährt.
Haftung des ersten Anwalts trotz zusätzlicher Fehler späterer Anwälte
Die Klägerin verklagte daraufhin ihren früheren Rechtsanwalt A. auf Schadensersatz. Sie warf ihrem ehemaligen Anwalt vor, seinen Anwaltspflichten nicht nachgekommen zu sein, indem er die Ansprüche der Klägerin habe verjähren lassen.
Der beklagte Rechtsanwalt A. verteidigte sich mit der Behauptung, er könne für die Verjährung der Ansprüche nicht verantwortlich gemacht werden, da sein Mandat für die Klägerin schon Monate vor der Verjährung beendet gewesen sei. Wenn jemand für die Anspruchsverjährung der Klägerin haften müsse, dann sei das der später tätige Rechtsanwalt F.
Dies sah der zuständige Senat des Bundesgerichtshofs allerdings anders:
Grundsätzlich bestehe eine dem Rechtsanwalt zuzurechnende Pflichtverletzung im Fall der Untätigkeit zwar erst dann, wenn die Verjährung von Ansprüchen bereits erfolgt ist oder so kurz bevorsteht, dass eine Hemmung der Verjährung zeitlich nicht mehr möglich ist; allerdings ist dem Anwalt hier nicht nur der Vorwurf der Untätigkeit zu machen, sondern er verletzte beträchtlich weiterreichende Pflichten:
Seit Einreichen des Prozesskostenhilfeantrags kümmerte sich Anwalt A. in keiner Weise um das Verfahren seiner früheren Mandantin. Weder erkundigte er sich nach dem Stand der Dinge, noch reichte er Schriftsätze bei Gericht ein. Schließlich verweigerte er sogar jegliche Auskunft bezüglich des Verfahrens.
Dadurch sei dem Rechtsanwalt A. eine Mitschuld an der späteren Verjährung der Ansprüche vorzuwerfen.
Daran ändern auch etwaige Fehler des späteren Rechtsanwaltes F. nichts. Zwar wehrte sich Rechtsanwalt F. fälschlicherweise nicht gegen die Behauptung des Ehemannes, die Ansprüche der Klägerin seien schon verjährt. Allerdings schließt ein solcher Fehler eines später beauftragten Anwalts nicht aus, den Schaden demjenigen zuzurechnen, der durch sein Verhalten die Schadensfolge in Gang gesetzt und erst möglich gemacht hat. Dies war hier der beklagte Rechtsanwalt A.
Die weiteren Fehler durch den zweiten Anwalt F führen allenfalls zu dessen zusätzlicher, eigener Haftung. Nur wenn Rechtsanwalt F. letztendlich den Schaden verursacht hätte, indem er den Geschehensablauf gänzlich ungewöhnlich geeinflusst hätte, wäre das Verhalten von Rechtsanwalt A. unbeachtlich. Dies war hier nach Auffassung der BGH-Richter jedoch nicht der Fall.
Daher muss neben dem späteren Anwalt auch der erste Anwalt für den entstandenen Schaden des Mandanten haften.
Fazit von RA Spirgath:
Der Bundesgerichtshof hatte in seinem Urteil vom 18.03.1993, Az: IX ZR 120/92, einen Rechtsgrundsatz aufgestellt, wann der Rechtsanwalt für die Verjährung von Forderungen seines Mandanten haftet („Die Pflicht des Anwalts zur Unterbrechung der Verjährung ist dann verletzt, wenn die Verjährung entweder eingetreten ist, oder so nahe eingetreten ist, dass sie aus zeitlichen Gründen nicht mehr unterbrochen werden kann“). In der vorliegenden Entscheidung wird dieser Grundsatz scheinbar ganz enorm zu lasten der Rechtsanwaltschaft ausgeweitet, denn vorliegend setzte der Rechtsanwalt lediglich eine von mehreren Ursachen für die Verjährung der Mandantenforderung.
Gerade weil es sich „nur“ um die erste und nicht um die letzte Ursache handelt, die auf dem Weg zur Verjährung gesetzt wurde, scheint das Urteil des BGH sehr hart für den Rechtsanwalt zu sein. Zudem wurde der Mandant später wieder von einem Rechtskundigen vertreten, so dass man annehmen könnte, die eigene Haftung hört dort auf, wo die Haftung des anderen Spezialisten beginnt.
Der BGH macht allerdings deutlich, dass weiteres pflichtwidriges Verhalten Dritter den Erstschädiger nicht entlasten, sondern dem Geschädigten in erster Linie einen zusätzlichen Schuldner geben soll.
Für den umsichtigen Rechtsanwalt bedeutet dieses Urteil konsequenterweise, dass er seinen Mandanten auch dann über die massgeblichen Fristenläufe informieren sollte, wenn das Mandat dadurch endet, dass der Mandant einen anderen Rechtsanwalt mit der Betreuung des Falles beauftragt.